Montag, 14. Juni 2010

Kapitel 07 - "[Jacob] Ich kann nicht mehr"

Als Nessie das Haus verlassen hatte und das Auto nur noch in der Ferne zu hören war, sagte keiner etwas. Wir saßen oder standen alle nur herum und rührten uns nicht.
Ich versuchte zu verarbeiten, was eben geschehen war. Ich wünschte mir, es wäre nur ein böser Traum gewesen. Wünschte, dass sie das gerade eben nicht wirklich getan hatte.
Sie hatte genau gewusst wie sie mir wehtun konnte und ihr Wissen auch ausgenutzt.
Das Wissen das sie mir gezielt weh tun wollte, tat weit mehr weh als die Tatsache, dass sie es letztlich getan hatte.
Ich hatte bei den anderen Geprägten aus meinem Rudel stets angenommen, dass die Prägung automatisch dazu führte, dass man am Ende mit seinem Mädchen zusammen kam.
Nun wusste ich, dass das gar nicht so selbstverständlich war. Bei allen anderen schien es so..
Woran lag es, dass es ausgerechnet bei mir nicht so funktionierte?
Wirkte die Prägung gar nicht auf sie, sondern einzig auf mich?
Wirkte sie wirklich immer nur auf die Wölfe und nie auf ihre Auserwählten?
Wenn ja, dann lag es an uns ob wir mit der Person zusammen kamen oder nicht.
Dann waren einfach alle anderen erfolgreich gewesen und ich schlichtweg unfähig.
Ich war nicht gut genug gewesen... zu „schlecht“ für Nessie.

Ich schloss die Augen und ließ meinen Kopf mit einem lauten Schlag auf die Marmor-Tischplatte knallen. Es war fast ein Wunder das sie nicht zerbrach, als ich einfach alle Muskeln erschlaffen ließ.
Bella stieß einen spitzen Schrei aus. „Jake!“
Und wenige Millisekunden später stand sie neben mir und drückte meinen Oberkörper zurück in den Stuhl. „Alles in Ordnung?“
Langsam öffnete ich die Augen und blickte in ihr sorgenvolles Gesicht.
„Nach was sieht es denn aus?“, antwortete ich bitter.
Sie antwortete nicht und sah mich einfach nur traurig an.
Ich schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, Bella.“
Dann erhob ich mich und schleifte mich aus der Küche und die Kellertreppe hinab.
Meine Beine fühlten sich an wie Blei. So kraftlos hatte ich mich das letzte Mal nach dem Kampf gegen die Neugeborenen gefühlt. Und es war so plötzlich gekommen.
Oder vielleicht doch nicht?
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und schloß die Augen.
Seit Renesmee in die Schule gekommen war, hatte ich ein komisches Gefühl in der Magengegend gehabt.
Es war eigentlich überhaupt nicht meine Art alles einfach so hinzunehmen. Bei Bella hatte ich bis zum Schluss gekämpft. Aber bei Nessie hielt mich etwas davon ab.
Mein Wunsch das sie mich so liebte, wie ich sie liebte stimmte nicht mit meinem Drang ihr zu geben was sie wollte und sie glücklich zu sehen überein.
Ich konnte dem Ganzen zwar zeitweilig widerstehen, etwa wenn ich sie bat kein Blut zu trinken und ihr widersprach, aber bei so maßgeblichen großen Dingen wie der Liebe, waren mir die Hände gebunden.
In diesem Moment wurde mir in vollem Ausmaße bewusst wie sich Edward wahrscheinlich damals gefühlt hatte, als ich ihm Bella streitig gemacht hatte. Im Gegensatz zu mir, hatte er nie offensichtlich gekämpft, er hatte ihr stumm gegeben was sie wollte und durch deine Selbstlosigkeit war er letztlich der bessere Kämpfer gewesen. Ich hatte das nie verstanden.
Konnte nicht begreifen, wie man so extrem selbstlos sein konnte.
Nun wusste ich es und doch hatte ich nicht das Gefühl, dass mir mein stummes Hinnehmen irgendwie half was Nessie anging.
Ich fühlte mich im wahrsten Sinne des Wortes hundeelend.

Einige Zeit lang versuchte ich einfach alles zu verdrängen, schloss die Augen und hoffte das ich in einen traumlosen Schlaf fallen würde, doch dem war nicht so.
Ich wälzte mich unruhig im Bett hin und her.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und stand wieder auf. Meine Füße trugen mich mehr oder weniger zu der kleinen Kommode gegenüber. Langsam zog ich die unterste Schublade heraus, griff hinein und zog das kleine rote Samtkästchen hinaus.
Ich streichelte den zarten Stoff und fuhr die silberne Herzverzierung aus edlem vergoldeten Garn nach, die hinein gestickt war.

Mit dem kleinen Gegenstand in der Hand verließ ich mein Zimmer. Es war glücklicherweise niemand zu sehen und ich lief zielsicher, wenn auch verhältnismäßig schleppend hinauf in den ersten Stock und öffnete die weiße Tür zu Nessies Zimmer.
Es war relativ unaufgeräumt. Ich musste sogar über einige Kleidungsstücke am Boden steigen, was für Nessie schon ungewöhnlich war. Offenbar war sie schon vor der Schule sehr aufgewühlt gewesen. Auf ihrem Schreibtisch lag eine Pralinenschachtel.
Neben dem schokoladigen Geruch der von ihr ausging vernahm ich noch einen Anderen.
Er war menschlich. An sich etwas gewöhnliches und doch ließ er in mir fast die Galle hoch steigen.
Am liebsten hätte ich die Schachtel im hohen Bogen aus dem Fenster geworfen oder verbrannt, aber wieder hielt mich Mutter Natur davon ab, meine eigene Bedürfnisse über Nessies Wünsche zu stellen. Sie hatte die Schokolade angenommen und hier hin gelegt, das bedeutete sie wollte sie auch behalten. Punkt. Aus. Ende.

Ich wand mich vom Schreibtisch ab und setzte mich auf ihren Bettrand. Zwei große Kissen lagen am Kopfende. Eines war das ihrige, das Andere hatte ich benutzt, als es ihr nach dem Zwischenfall in der Schule nicht gut gegangen war. Die Erinnerungen ließen zu gleichen Teilen Freude und Trauer in mir aufsteigen.
Freude, weil es so schön gewesen war mit ihr ausgelassen herum zu tollen und weil ich zum aller ersten Mal ein seltsames Knistern zwischen uns gespürt hatte.
Trauer, weil dieses Knistern so schnell ging wie es gekommen war und weil ein anderer Schuld daran war, dass dieser Augenblick so schnell vorbeigegangen war.

Kurz machte ich ihre Bettdecke zu recht und klopfte die Kissen auf.
Obwohl ich mein eigenes Bett so gut wie nie machte und sie immer wieder deswegen gemeckert hatte, war ich ziemlich geschickt darin ihr Bett zu machen.
Als alles ordentlich war legte ich mein Kästchen vorsichtig auf ihr Kopfkissen.
Bevor ich den Raum verließ warf ich noch einmal einen Blick zurück. Sie würde sicher nicht wollen, dass ich ihr ganzes Zimmer aufräumte. Das Gute an der Sache war, dass sich die Sauberkeit im Zimmer nun auf einen Punkt konzentrierte und das war das kleine rote Quadrat auf dem frisch gemachten Bett. Das war mindestens genauso gut wie ein göttlicher Lichtkegel der vom Himmel schien und einem Frauenchor der Halleluja sang. Sie würde es sicher bemerken.
Ich lächelte zufrieden und schloss die Tür hinter mir.

Als ich unten am Treppenabsatz ankam lief gerade Bella mit ihrem himmelblauen Wäschekorb vorbei. „Jake, geht es-“
Ich unterbrach sie. „Schon okay, Bella.“
Sie sah mich verdutzt an. Ich zwinkerte ihr kurz zu, dann marschierte ich zügig zur Haustür.
Nach wenigen Schritten war ich schon im Wald, wo ich sorgsam meine Kleider unter einen Strauch legte und die Wolfsgestalt annahm.

Sofort hagelte das Gedankengewirr auf mich ein.
Jake! Jacob! Jake!
Mein Rudel hatte mich vermisst. Ich musste mich mächtig anstrengen, um das kürzlich geschehene und meine Gefühle zu verbergen und natürlich gelang es mir nicht wirklich, es geheim zu halten.
Oh Jake, das tut uns wirklich so leid, meinte Quil bedrückt.
Ich versuchte es so gut es ging zu überspielen.
Ach das wird schon... und wenn nicht, dann kann ich immernoch ihr Bruder sein.
Sie antworteten nichts darauf. Ich spürte aber, dass sie einfach nicht wussten, was sie tun sollten.
Und wie läufts im Reservat?
Ich hoffte durch den Themenwechsel bessere Stimmung zu bekommen.
Keine besonderen Vorkommisse, Jake, gab Leah bekannt.
Sehr gut, antwortete ich.

Eine Weile kam dann darauf nichts mehr, bis sich Leah wieder zu Wort meldete.
Jake?
Mh?
Soll ich vielleicht mal mit ihr reden?
Was?!, fragte ich bissig.
Naja so.. von Frau zu Frau.
Wenn sie neben mir gestanden hätte, hätte ich Leah jetzt verdutzt angestarrt.
Geht es dir nicht gut Leah? Sie ist ein halber Vampir, schon vergessen?
Sie seufzte. Nein, natürlich nicht. Aber sie ist das Mädchen das für dich bestimmt ist. Es ist egal was sie ist.
Ach komm Leah... du brauchst keine Frauengespräche zu führen...
Aber Jake-
Nein, vergiss es Leah. Wir sind hier nicht bei Doktor Sommer! Und jetzt halt die Klappe!
Der Befehl des Leitwolfs ließ sie schlagartig verstummen und ein Gefühl von Erleichterung machte sich breit.
Die Anderen wussten das es das Beste so war und schienen sich alle zurückverwandelt zu haben.
Inzwischen war ich schon ziemlich weit gekommen.
Ohne einem Ziel vor Augen lief ich durch den dichten Wald.
Und mit einem Mal wies mir mein Bauchgefühl eine Richtung zu. Schlagartig hatte ich ein Ziel.
Und kaum fünf Minuten später wusste ich auch schon was mich an diesen Ort geführt hatte: das unsichtbare unglaublich fest und dicht gewebte Band, dass mich mit Renesmee Cullen verband. Die Fäden, die mich bei ihr hielten, ganz gleich wie weit ich von ihr entfernt war, irgendwas zog mich stets zu ihr und ohne ihre Nähe fühlte ich mich wie eine Pflanze ohne Erde, ein Fisch ohne Wasser oder ein Abhängiger ohne seine Droge.
Für einen Moment war ich Glücklich in ihrer Nähe zu sein und im Nächsten wünschte ich mir, ich hätte die Villa niemals verlassen und hätte Zuhause auf ihre Rückkehr gewartet.

Sie stand auf einer kleinen Lichtung – mit ihm.

Mein Magen verkrampfte sich und mein Herz schlug immer schneller als ich die beiden da sah.
Er war etwas größer als sie und blickte auf sie hinab, hielt aber ihre Hand und so standen sie da und sahen sich an. Wie er sie ansah...
Ich konnte von meinem Blickwinkel nicht richtig sehen wie sie ihn ansah und ich war mir sicher es war besser für mich es nicht zu wissen.
„Danke, Dave.“, hörte ich sie noch flüstern. „Das ist ein schönes Valentinstagsgeschenk“
Mein Herz machte einen Hüpfer. Er hatte ihr etwas geschenkt und sie freute sich darüber....
Ich wollte so gerne zu ihr gehen und ihr sagen, dass sie doch bitte zu Hause in ihr Zimmer schauen sollte, aber zum dritten Mal an diesem Tag hinderte mich die Prägung daran zu tun, was ich wollte.
Und so stand ich nun einfach nur da. Unfähig mich zu bewegen. Unfähig um meine Liebe zu kämpfen.
Innerlich begann ich vom Schmerz zerfressen zu werden und als er sich herabbeugte um sie zu küssen entfuhr mir ein tiefes Knurren. Schlagartig hielten sie inne und Nessie sah in meine Richtung. Es war stockdunkel und ich war im Schatten großer Tannen bedeckt von Sträuchern, dennoch wusste ich, dass sie mich sah.
Ohne umschweife machte ich kehrt und stürmte davon.
So schnell meine vier Pfoten mich trugen flüchtete ich vor dem was ich eben gesehen hatte durch den Wald. Es war schlimmer als eine Horde blutrünstiger Vampire. Schlimmer als der Schmerz damals bei den Neugeborenen und schlimmer als jener Schmerz kurz vor meiner ersten Verwandlung. Es war sogar schlimmer als damals, als ich erfahren hatte das Bella Edward heiraten würde.
Ich hatte das Gefühl ich wäre keine zwei Minuten gerannt da hatte ich die Villa schon erreicht.
Zügig zog ich meine Kleider unter dem Strauch hervor, verwandelte mich zurück und zog sie an.
Und jetzt da ich ein Mensch war, schlug der Schmerz noch einmal mit voller Wucht zu.
Ich fühlte mich als würde eine unsichtbare Macht mich zu Boden drücken und sank zurück auf die Knie.
Heiße salzige Tränen bahnten sich ihren Weg über mein Gesicht. Es waren leise Tränen, begleitet wurden sie von kaum mehr als einem Wimmern. Ich zitterte am ganzen Körper und spürte förmlich den Schmerz in meinem Herzen, als hätte man es wirklich durchtrennt.
Ich hatte schon gelitten als Bella sich für Edward entschied, aber bei Nessie war der Schmerz unerträglich.

Mühsam schaffte ich es mich zu erheben und schleppte mich zurück ins Haus.
Es war niemand zu sehen, offenbar waren alle unterwegs. Gut. Es musste ja nicht jeder sehen wie ich krepierte.
Der Weg die Treppe hinauf kam mir vor wie das Besteigen des Mount Everest. Sogar die Atemnot schwang mit. In diesem Haus gab es sicher genug Sauerstoff zum atmen und doch schaffte ich es kaum ein und auszuatmen.

Es dauerte eine Ewigkeit bis ich in Nessies Zimmer stand. Mein Blick viel auf das Bett und das kleine Kästchen auf dem Kissen. Mit zittrigen Händen griff ich danach, dann hörte ich wie die Tür hinter mir aufging. Als ich mich umdrehte blickte ich in Bellas Gesicht. Wenn sie nicht schon kalkweiß gewesen wäre, dann wäre sie es jetzt ganz sicher geworden.
Sie schlug die Hand vor dem Mund, als wäre sie zu tode erschrocken (welch Ironie bei einer Toten)

Ich saß gebückt auf dem Bett und sah sie an. Sagte nichts, war kaum in der Lage meinen Kopf zu heben und in ihre goldenen Augen zu sehen, die so voller Angst waren.
Dann viel ihr Blick auf den Gegenstand in meiner Hand.
Sie musste nicht fragen warum ich ihn in der Hand hatte und auch nicht für wen er bestimmt war.
Bella Cullen kniete sich vor mich und legte eine ihrer kalten Hände auf meine Wange.
„Jake..“, flüsterte sie.
Ich schloss die Augen, atmete zittrig aus und fühlte wie eine weitere Träne über mein Gesicht lief.
„Soll ich Carlisle anrufen?“, fragte sie besorgt. Ich schüttelte nur den Kopf.
„Aber Jake.. du siehst elend aus. Bitte -“
„Nein, Bella.“
Meine Worte waren kaum mehr als ein flüstern, aber ihren guten Ohren würde keine Silbe entgehen, dessen war ich mir bewusst.
„Kein Arzt der Welt kann mir helfen.“

Sie schluchzte leise. Ich wusste, dass sie sich mal wieder auch selbst Schuld zuschob, so wie sie es immer machte.
„Und Bella.“, begann ich. „Du trägst absolut keine Schuld.“
Sie sah mich ungläubig an.
„Bella wir haben uns damals alle entschieden ihr nichts von der Prägung zu sagen und das war richtig so. Ich wollte nie das sie sich dazu verpflichtet sieht für mich mehr zu empfinden, als sie von sich aus wollte. Ich will doch nur das sie Glücklich ist und wenn sie das auf diesem Wege ist, dann soll es so sein.“
Mit der freien Hand griff sie jetzt eine meiner Hände.
„Aber Jake.. du leidest.“
Ich seufzte. „Das spielt keine Rolle.“
„Jake-“
Ich unterbrach sie, in dem ich mich erhob und zur Tür ging.
„Kümmere dich um das Wohl deiner Tochter, Bella. Nicht um Meines.“
Dann wand ich mich von ihr ab, verließ den Raum und ging mit zittrigen Beinen zur Treppe, die hinunter in das Erdgeschoss führten.
Ich wollte einfach nur in mein Bett liegen und schlafen.
Unzählige Gedanken schwirrten mir durch den Kopf und ich fühlte mich als würde mein Inneres von Salzsäure zerfressen werden, allem voran mein Herz.
Mein Blick wurde schwummrig, so dass sich nunmehr alles in mir auf meine Gedanken fixierte, die in meinem Kopf waren.
Nie hatte jemand erwähnt, dass ein geprägter Werwolf seine ausgewählte Person nicht für sich gewinnen konnte. Was würde passieren, jetzt da Nessie sich für jemand anderes entschieden hatte?
Zittrig trat ich auf die oberste Stufe.
Ich dachte eigentlich, dass es reichte sie glücklich zu sehen und das war sie doch auch mit diesem Kerl. Aber trotzdem zerfrass mich etwas.
Ich hielt es kaum einen Tag ohne sie aus.
Mir wurde schlagartig bewusst das es unmöglich für mich war für immer bei ihr zu sein, wenn sie ihren Weg nicht gemeinsam mit mir ging.
Und was würde dann mit mir passieren? Würde ich sterben?
Oder war ich gerade schon dabei zu sterben?
Ich konnte den Gedanken kaum zu Ende denken, da sah ich wie der Boden auf mich zukam, dann wurde meine Welt schwarz....

- Ende Kapitel 07 -

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