Nach diesem Vorfall hatte ich die meiste Zeit in meinem Zimmer verbracht. Ich hatte dabei starr geradeaus geschaut ohne zu sehen. Hatte alles ausgeblendet. Ich war einfach total mit den Nerven am Ende. So am Ende, dass ich alles los haben wollte. Ich wollte niemanden um mich. Ich wollte nichts Essen, nichts Trinken. Nichtmal Blut. Ich schämte mich so sehr für mein Verhalten, dass ich mich vor der Welt verstecken wollte.
Nur einen ließ ich an mich heran: Jacob.
Zum Glück war mein Zimmer geräumig, denn in diesen Stunden hatte ich das Gefühl etwas das mehr Tier als Mensch war würde meine Gefühle besser begreifen können. Ich weiß nicht warum ich das tat. Ich hatte irgendwo sogar die Befürchtung ich hätte ihn verletzt als ich ihn bat nicht in Menschengestalt in meine Nähe zu kommen, aber er war ohne Umschweife zu mir gekommen. Auf vier Pfoten.
Kurz nach den Geschehnissen war mein Vater nochmal in die Schule gegangen. Er wollte mit dem Rektor reden. Ich bekam nicht so recht mit, wie er es geschafft hatte mich aus der Sache heil herauszubekommen ohne das wir umziehen mussten oder dergleichen, aber es war mir auch egal. Ich schämte mich zu sehr um zu begreifen, dass die Sache für meine Familie schon abgeschlossen war.
Sie waren offenbar alle auf solche Vorkommnisse vorbereitet und fanden stets einen Weg. Ob es nun eine glaubwürdig aufgetischte Lüge oder eine ordentliche Geldsumme war, die die Sache letztlich in der Versenkung verschwinden ließ, ich denke ich würde es nicht erfahren, wenn ich danach fragen würde. Sie hatten mir nur erzählt, dass alles in Ordnung sei und das ich die nächsten Tage zu Hause bleiben durfte.
Und meine freie Zeit verbrachte ich nun auf meinem Bett. Jacob lag neben meinem Bett auf dem Boden. Er war so groß, dass er mühelos seinen großen Kopf auf mein Kissen legen konnte. Auf einem Kissen daneben lag wiederum ich und streichelte das rostrote Fell.
Die meiste Zeit hatte er die Augen geschlossen und brummte. Dieses Geräusch wirkte für mich wie ein beruhigendes Mantra und abends brummte er mich auf diese Art in einen seligen Schlaf.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte lag er immernoch in der selben Pose neben mir. Es schien als hätte er sich nie auch nur einen Zentimeter von mir entfernt. Kein Wunder das meine Träume alles andere als schrecklich gewesen waren.
Ein Klopfen an meiner Zimmertür ließ mich aufhorchen. „Ja?“
„Renesmee Schatz, ich bringe dir ein kleines Frühstück“ Es war die Stimme meiner Mutter hinter der Tür.
„Du kannst ruhig reinkommen Mum“, antwortete ich ruhig.
Mit einem sanften Lächeln öffnete meine wunderschöne Mutter die Tür. In ihren Händen hielt sie ein gläsernes Tablett. Elegant schwebte sie durch mein Zimmer auf mich zu, stellte mir, jetzt da ich mich aufgesetzt, hatte das Tablett aufs Bett direkt über meinen Oberschenkeln und setzte sich an die Bettkante auf der gegenüberliegenden Seite von Jake, der immernoch den Kopf mit geschlossenen Augen auf meinem Bett liegen hatte.
Freudig musterte ich mein Frühstück. Neben Brötchen und Nuss-Nougat-Creme hatte ich auch etwas Wurst, ein gekochtes Ei, Käse, Saft und sogar ein Tässchen Blut auf meinem Tablett.
Zielsicher griff ich nach der Tasse. Ich wollte gerade einen Schluck nehmen da vernahm ich ein tiefes unzufriedenes Brummen von Rechts.
Ich wand meinen Blick mit einer erhobenen Augenbraue rüber zu Jake. Der rostrote Wolf sah mich jetzt missmutig an. Ich brauchte seine Stimme gar nicht hören um zu wissen was er mir sagen wollte.
Nessie stell doch das eklige Zeug weg und ess was richtiges das kann man ja nicht mitansehen...
Ich musste kichern. „Okay okay.. ist ja schon gut“
Ich stellte meine Tasse wieder an ihren Platz, griff zum Orangensaft, trank einen kräftigen Zug davon und griff dann zur Wurst die ich Jake hinhob.
Jetzt da er so lustig mit dem Schwanz wedelte musste ich gleich noch mehr lachen.
„Du hast mir übrigens immernoch nicht erklärt wie das mit dem Schwanz wedeln ist, Jake“
Ein heiteres aufforderndes Bellen, dass sicher im ganzen Haus deutlich vernommen werden konnte kam aus seiner Schnauze. Jetzt gib schon her!
Jetzt musste sogar meine Mutter lachen. „Ich hab ja schon mal gesagt ich hätte gern einen Hund gehabt. Du hast jetzt einen ziemlich großen Renesmee“
„Ich könnte mir keinen besseren vorstellen“, antwortete ich freudig. Jake tapste einige Schritte zurück bis sein Schwanz nun gegen mein Bücherregal wedelte, dann warf ich ihm die Wurst zu und er fing sie auf.
Ich liebte dieses Spiel und obwohl ich nicht wusste ob Hunde eigentlich auch Käse mochten, warf ich ihm den auch noch zu und er verschlang ihn ohne zu kauen. Sogar das Ei wurde nicht verschmäht. Als ich dann einen Bissen von meinem geschmierten Brötchen nahm kam wieder ein auffordernder Laut von Jake. Er hatte sich jetzt auf die Vorderbeine gebeugt, so dass sein Rumpf fast auf dem Boden lag wohingegen sein Hintern in die Höhe ragte und sein Schwanzwedeln noch mehr zur Geltung kam. Es war eine überdeutliche Aufforderung zum Spiel die ich gerne an nahm.
Zügig stellte ich mein Tablett auf und gab dabei acht, dass die Blut-Tasse stehen blieb, dann hüpfte ich mit einem ordentlichen Satz vom Bett Jake entgegen und kraulte ihn überschwänglich am Kopf.
Mit einem Mal drehte er sich auf den Rücken – ich sollte seinen Bauch kraulen und tat es auch ohne zögern.
„Also Jake manchmal bist du mehr Hund als Mensch“, kam es gespielt empört von meiner Mutter, die noch immer grinsend auf dem Bett saß. Jake antwortete mit einem heiteren Bellen. Ist mir doch egal
Ich hatte mich gerade über ihn gebeugt, da drehte er sich um und stellte sich wieder auf. Ich konnte gar nicht so schnell gucken da lag ich schon auf seinem großen Rücken und hatte die Arme um seinen großen Hals geschlungen. „Jake... wa-“
Die Frage konnte ich nicht zu Ende stellen, da flitzte er mit mir die Treppe hinunter und rannte mit mir einmal durch die Küche und das Wohnzimmer. Als wie in der Eingangshalle waren öffnete Esme rasch die Tür und ich wurde von dem großen Wolf nach draußen entführt.
Wir wohnten weitab von den anderen Bewohnern dieser Stadt, so dass Jacob eine ganze Weile ungehindert mit mir über Stock und Stein rennen konnte. Und ich genoss es. Ich genoss die Freiheit, den Wind in den Haaren. Ich fühlte mich als seien Ketten von mir gelöst worden, die mich seit geraumer Zeit gefangen gehalten hatten. Ein unglaubliches Gefühl von Sorglosigkeit umkam mich. So hatte ich mich seit langer Zeit nicht mehr gefühlt und obwohl meine „Kindheit“ nicht soweit weg lag, kam es mir vor als hätte ich wirklich vor mindestens 10 Jahren zuletzt so ausgelassen die Zeit mit Jake verbracht und einfach nur Unsinn gemacht.
Diese Gabe die Leute um sich herum von Schatten, Ketten, Sorgen und Ängsten zu befreien, hatte nur Jake. Schon meine Mutter hatte mir einst davon erzählt. Sie erzählte nur spärlich über die Zeit vor meiner Geburt und selten Details, aber das Jake sie aus einem tiefen Loch gezogen hatte, hatte sie mir erzählt. Wäre er nicht gewesen, wären meine Eltern tot und ich nie geboren worden.
Und wer weiß.. vielleicht wäre ich ohne Jake nie soweit gekommen. Es war nicht leicht damit zurechtzukommen das man so dermaßen anders war als all die Anderen. Ich konnte nie mit anderen Kindern spielen, ich hatte kaum Menschen kennegelernt. Meine Welt bestand nur aus meiner Familie. Und mein einziger Spielkamerad war Jake gewesen. Und ich wusste, er würde immer für mich da sein, solange ich lebte.
Ich wurde erst aus meinen Gedanken gerissen, als Jake in einer Wiese abrupt stehen blieb, so dass ich vornüber viel und im Gras landete. Auf dem Rücken liegend kicherte ich und sah nun hinauf ins helle Sonnenlicht. Ich liebte das Sonnenlicht, was mir als Halbvampir im Grunde mehr oder weniger vergönnt war. Ich konnte zwar auch dann hinaus, wenn sie schien, aber wirklich wohl fühlte ich mich dabei nie, weil ich stets Angst hatte, dass die Leute ahnten das ich eigentlich kein wirklicher Mensch war. Doch nun genoss ich sie und freute mich das sie da war.
Dann wurde das Licht plötzlich von Jakes großem Wolfskopf verdeckt. Seine Nase war kaum merklich von meinem Gesicht entfernt. Ich verstummte.
Er gab keinen Ton von sich und legte sich vorsichtig nieder. Mit seinen großen Pfoten die Links und Rechts von mir lagten stützte er sich etwas vom Boden ab um mich nicht mit seinem Körpergewicht zu belasten. So leicht über mir schwebend sah er mir unverwand ins Gesicht und ich hatte eindeutig nicht das Gefühl, dass sich hier ein Hund über mich gebeugt hatte.
Ich hielt fast den Atem an so gebannt war ich von diesem Augenblick. Ich versank fast in seinen Augen. Pechschwarz und unendlich vertraut. Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich. Es fühlte sich heiß und kalt zur gleichen Zeit an, wie Gänsehaut gepaart mit Schmetterlingen und vollkommen neu.
- Ende Kapitel 05 -
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