Am nächsten Tag fuhr ich nicht mehr ganz so widerwillig zur Schule. Was konnte schon schlimmes neues auf mich zukommen? Ich kannte das Schulgelände und die meisten Schüler hatten mich schon angestarrt.
Als ich aus dem Auto stieg stand Hannah schon am Eingang des Schulgebäudes und winkte mir zu. Neben ihr stand ein Junge. Er war größer als sie, normal gebaut, also nicht zu schmächtig und hatte blondes mittellanges Haar das ihm bis zu den Ohren reichte. Alles in allem sah er doch recht gut aus und er lächelte mich die ganze Zeit an.
Das konnte ja was hingeben...
Noch ehe ich was zur Begrüßung sagen konnte reichte er mir schon die Hand.
„Hallo Renesmee. Hannah hat mir schon von dir erzählt. Verzeih ich hatte Gestern nicht die Chance dich kennenzulernen. Mein Name ist David, du kannst mich gern Dave nennen und wow.. Hannah hat nicht zu viel versprochen du bist wirklich hübsch.“
Ich sah ihn einfach nur an ohne eine Reaktion zu zeigen. Offensichtlich gab es noch andere Kerle die Jakes Lebensphilosophie teilten. Für mich war zumindest dieser „Dave“ etwas zu direkt. „Ähm.. ja.. danke“
Hannah schien die Situation direkt zu begreifen. „Na kommt“, lies sie mit einem Grinsen verlauten. „Wir müssen in die Klasse, sonst kriegen wir noch Ärger.“
In der ersten Stunde stand Geschichte auf dem Stundenplan. Für mich gar kein Problem. Meine Familie hatte mich sehr gut für die richtige Schule vorbereitet. Da man mich nicht an einer Schule anmelden oder einem Privatlehrer anvertrauen konnte, waren sie quasi dazu gezwungen gewesen, mir das nötige Wissen selbst beizubringen.
Dabei war es nicht nur nützlich, dass sie sehr viel Zeit gehabt hatten massig Bücher zu wälzen, sondern auch, dass Einige von ihnen viele Jahrzehnte selbst miterlebt hatten.
Über viele Dinge wusste ich also quasi fast aus erster Hand bescheid. Ich konnte nur hoffen, dass mich nie jemand fragen würde woher ich manche Dinge so gut wusste.
Bis jetzt lief allerdings alles sehr gut. Bis auf die Tatsache das ich nach wie vor angestarrt wurde uns insbesonde Dave permanent zu mir rüberschaute, war alles okay.
Vor dem Kunstunterricht hatten wir dann etwas mehr Zeit. Hannah führte mich zu einer Bank in einem Flur auf der wir Platz nahmen. Ich wunderte mich, dass wir die Zeit nicht wie sonst in der Schulkantine verbrachten, doch sie meinte sie würde vor dem Kunstunterricht um diese Zeit immer hier warten. Und kurz drauf erfuhr ich auch worauf sie wartete...
Sofort drehte ich meinen Kopf nach links, direkt in die Richtung aus der Edward Cullen um die Ecke kam. Einen kurzen Moment sahen wir uns an und die Zeit schien stehen geblieben zu sein.
Gewiss ich hatte meinen Vater schon so oft gesehen, aber nun war es einfach anders. Ihn unter dem Vorwand anzusehen er sei mein Bruder war so fremd und seltsam.
Scheinbar hatte er aber die Situation besser im Griff als ich. Sofort legte er ein sanftes Lächeln auf, sah mich mit seinen goldenen Augen an und schritt auf mich zu.
„Hallo Renesmee“ Hallo Daddy, antwortete ich meinem Vater in Gedanken, wohlwissend das er es hören würde.
Für alle anderen sollte die Wahrheit jedoch unausgesprochen blieben und es tat weh, obwohl ich wusste, dass es das einzig Richtige war. „Hallo Edward“
Er umarmte mich herzlich. Ich hoffte das sie darin nur Geschwisterliebe sehen würden und nicht die die ein Vater für seine Tochter fühlte.
„Wie ich sehe hast du schon Freunde hier gefunden“
An meiner Seite strahlte Hannah jetzt über das ganze Gesicht.
„Ja.. ähm Edward Hannah. Hannah Edward“, stellte ich die Beiden kurz und bündig vor, ich wollte ihn einfach nicht Bruder nennen. Ich wollte mich allen Mitteln davor drücken, dass noch einmal zu sagen.
Hannah strahlte noch immer und Edward lächelte sie nur zaghaft an. Ob es nun daran lag, dass er keinerlei Interesse an ihr hatte oder daran, dass er befürchtete das sie wohmöglich in Ohnmacht fallen könnte, wenn er ihr mehr Aufmerksamkeit schenkte, wusste ich nicht. Vielleicht war es auch beides.
Als das erlösende Klingeln der Schulglocke endlich ertönte fühlte es sich an, als wäre ich von einer Last befreit die so schwer war wie hundert LKWs. Ich musste mich anstrengen nicht erleichtert aufzuseuftzen.
„Ich geh dann mal wieder zum Unterricht“, sagte Edward. „Wir sehen uns zu Hause“
Er zwinkerte mir kurz zu und ich nickte, dann nahm ich Hannah die wie festgefroren neben mir stand und zog sie in den Kunstsaal. Sogar ihr grinsender Gesichtsausdruck schien wie eingemeiselt. Selbst eine Viertelstunde später als wir schon längst vor unseren kleinen Tonskulpturen standen grinste sie ihr graues verklumptes Etwas vor sich an.
Ich beschloss später meinem Vater davon abzuraten irgendwen nochmal anzulächeln, dann rüttelte ich Hannah. „Hey, was soll das darstellen?“
Sie säuselte irgendwas vor sich hin, das ich nicht verstand. Kopfschüttelnd wand ich mich wieder meiner Figur zu. Der kleine Wolf nahm schon etwas Gestalt an. Als unsere Kunstlehrerin an unseren Tisch trat, eine kleine exzentrische Dame mit hohem Stimmchen und zerfledderten zugeschmierten Klamotten die auf den klangvollen Namen Mrs Floralys hörte, schwärmte in den höchsten Tönen davon. Ich lächelte nur und freute mich auch irgendwie dafür Lob zu kriegen.
Als es dann Klingelte nahm ich meinen kleinen Wolf und stellte ihn vorsichtig auf die Ablage hinauf zum Trocknen zu den anderen Figuren. Etwas weiter links sah ich auch das krüppelige Etwas von Hannah stehen und musste leise kichern.
Als ich diesmal mit Jake an meiner Seite nach Hause fuhr erzählten wir uns heiter von den Geschehnissen dieses Tages. Nur welche Form meine Skulptur hatte und die Sache mit David ließ ich aus. Ich war froh, dass er nicht danach fragte, denn ich hatte mir nichts für diesen Fall einfallen lassen.
Auch als wir am Abend am großen Esstisch saßen kam ich nicht umhin von meinem Tag zu berichten. Meine Familie allen voran meine Eltern lächelte zufrieden und freute sich mit mir.
Im Grunde war das allabendliche Sitzen am Tisch nur zum Reden gut, denn wirklich essen tat hier kaum einer. Es sei denn man betrachtete es so, dass Jake für uns alle aß. Die Menge an Essen die er verdrückte kam so ungefähr hin.
Die folgenden Tage vergingen ohne große Ereignisse. Hannah war am nächsten Tag wieder normal, ich lernte einige neue Lehrer und Schüler kennen, die aber weitgehend normal mit mir umgingen, obgleich ich stets das Gefühl hatte, dass sie mich teilweise mit Bewunderung und teilweise mit Neid ansahen.
Und Dave ließ natürlich nicht locker und flirtete weiter mit mir. Ich ging allerdings nicht sonderlich auf ihn ein, was ihn jedoch nicht daran hinderte es weiter zu versuchen.
Etwa eine Woche später in der letzten Stunde des Freitags saßen wir wieder im Kunstunterricht. Ich war gerade dabei mein Wölfchen rostrot anzumalen, während Hannah verzweifelt versuchte mit einem kleinen Meißel ihrem Brocken Gestalt zu verleihen, als Dave an unseren Tisch kam.
„Hübsch“, sagte er mit Blick auf meinen Wolf. „Du hast ein Auge für Details“
Ich lächelte. „Danke. Ich gebe mir Mühe“
„Ich mir auch“
Einen Moment sah ich ihn an, dann begriff ich, dass er nicht seine Skulptur damit meinte.
Ich senkte wieder meinen Blick und malte die kleinen Pfötchen an.
„Ehrlich Ren. Du könntest auch aufhören mich abzublocken und mir wenigstens eine Chance geben“
Meine Hände fingen an zu zittern und ich legte lieber den Pinsel weg, bevor ich Gefahr lief meine Figur zu versauen. Ich warf kurz einen Blick zur Seite. Hannah schien sich nicht sonderlich für unsere Unterhaltung zu interessieren. Entweder verstellte sie sich nur gut oder aber ihr Werk hatte wirklich ihre ganze (verzweifelte) Aufmerksamkeit.
Einen Moment sah ich in Daves blaue Augen. Er schien es wirklich ernst zu meinen.
Dann kam das erlösende Klingen. Hastig nahm ich meinen rostroten Miniwolf, stellte ihn auf die Ablage und spurtete aus dem Saal, direkt zum Auto.
Ich wusste nichtmal warum ich mir bei der Sache so unwohl vorkam, ich tat es einfach.
Dummerweise fing er mich auf halbem Wege ab und stellte sich mir in den Weg.
„Renesmee“
Kurz sah ich in sein bittendes Gesicht.
„Was hab ich dir denn getan, dass du so zu mir bist?“
Ich kniff die Augen zusammen. „Nichts.. ich meine... ich weiß nicht..“
„Na also, dann kannst du mir doch wenigstens eine Chance geben“
Ich öffnete die Augen und zwang mich zu einem Lächeln.
„Inwiefern?“ fragte ich kurz und knapp.
Jetzt lächelte er. „Geh mit mir aus. Wenn du danach noch immer deine Ruhe willst, lass ich dich in Frieden“
„Versprochen?“
Er hakte seinen kleinen Finger in meinen. „Versprochen“
„Okay..“ seufzte ich.
„Alles klar“, antwortete er. „Dann Morgen um 20 Uhr genau hier“
Ich nickte, dann schritt ich mit gesenktem Kopf an ihm vorbei zum Parkplatz. Ich sah noch im Augenwinkel wie er zufrieden lächelte.
Aus einem mir völlig undefinierbaren Grund fühlte ich mich nun absolut schlecht, ganz so als beginge ich gerade einen riesengroßen Fehler, als würde ich jemanden betrügen.
Aber ich konnte nicht sagen was genau es war.
Als mir dann auf dem Parkplatz Jacobs Geruch entgegen kam fühlte ich mich direkt etwas besser, wie immer wenn er in meiner Nähe war.
Wie auch an allen Tagen zuvor lehnte er an der Beifahrerseite meines weißen Spiders und begrüßte mich mit einem Lächeln – das kurz drauf auch wieder verschwand.
„Ist alles okay?“
Ich gab mir alle Mühe gelassen und glücklich zu wirken und trotzdem konnte ich vor ihm nicht verbergen, dass ich kurz vorher fast geheult hätte.
„Ja..“ antwortete ich kurz, öffnete die Türen, warf meine Tasche nach hinten und drehte den Zündschlüssel.
Auf der Fahrt schaffte er es ganze fünf Minuten nichts zu sagen. Nur sein wippendes Bein verriet mir, das er nervös war.
„Kannst du das bitte sein lassen?“
Noch immer zog ich die Nase hoch. Von meiner Fast-Heulerei hatte ich wohl Schnupfen bekommen.
„Was?“, antwortete er fast bissig.
„Du machst mich nervös“
Ich spürte seinen Blick auf mir, sah ihn aber nicht an.
„Du mich auch“
Ich antwortete nichts und starrte weiter auf die Fahrbahn.
Er seufzte, verdrehte die Augen und sah mich dann wieder durchdringend an.
„Nessie was ist los?“
Ich schüttelte nur den Kopf. Wie sollte ich antworten, wenn ich die Antwort selbst nicht kannte?
„Nessie“, jetzt wurde sein Tonfall schon drängender. „Du weisst genau, dass du mir alles sagen kannst. Ich ertrage es nicht, wenn es dir schlecht geht, also raus mit der Sprache“
Wieder schüttelte ich den Kopf.
„Nes-“ Er kam nicht dazu weiter zu sprechen da fuhr ich ihn schon an.
„Du hilfst mir in dem du die Klappe hälst, Jake! Also bitte“
Prompt tat er wie ihm geheißen, legte den Kopf gegen die Fensterscheibe zu seiner Rechten, starrte aus dem Fenster und sagte nichts mehr.
Und er sagte auch in den folgenden Stunden nichts mehr. Er blieb nur Stumm in meiner Nähe, wenn ich ausserhalb meines Zimmers war. Es störte mich überhaupt nicht, im Gegenteil. Wenn er bei mir war, fühlte ich mich besser. Nur wenn er den Mund aufmachen würde und Antworten wollte, die ich ihm nicht geben könnte, würde ich mich unwohl fühlen, aber das tat er nicht.
Vor dem Rest meiner Familie versuchte ich den Rest des Tages alles weitgehend zu verbergen. Wann immer mein Vater in der Nähe war, dachte ich an möglichst belangloses Zeug. Nur Jasper schien meine Unruhe zu spüren, doch er sagte nichts, sondern versuchte nur stumm mir zu helfen, ebenso wie es Jake tat.
Am nächsten Morgen erwachte ich aus einem traumlosen Schlaf, kam mir aber wie gerädert vor. Müde sprang ich erstmal unter die Dusche und versuchte mich zu sammeln.
In weniger als 10 Stunden musste ich also nun zu meinem aller ersten Date. Ich fühlte mich verpflichtet dorthin zu gehen, ich hatte es versprochen und ich sah auch keinen trifftigen Grund es nicht zu tun. Dave war nett und freundlich und er gab sich wirklich Mühe. Aus einem mir unbekannten Grund fühlte ich mich jedoch von innen heraus unwohl dabei.
Irgendwas sagte mir, dass es besser war auf mein Bauchgefühl zu hören, doch ich versuchte meine innere Stimme so gut es ging zu verdrängen.
Bisher hatte ich noch niemandem davon erzählt und ich hatte auch nicht vor Details zu verraten. Das ich mir schlecht vorkam, sollte niemand erfahren. Ich wollte bei oberflächlichen Informationen bleiben, das musste allen reichen.
Das ich ein Date hatte, mit wem ich es hatte, wann und wo und wann ich wieder zu Hause sein würde, mehr nicht.
Es war kurz vor Sechs als ich nach unten ins Wohnzimmer ging. Emmett und Rosalie hatten es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht, Carlisle und Esme ebenfalls.
Meine Mutter und Alice saßen neben meinem Vater und Jasper die gerade in ein Kartenspiel vertieft waren und Jacob saß auf der anderen Seite des Wohnzimmers auf einem Hocker nahe dem Kamin, der jedoch aus war.
Sofort bekam ich wieder ein mulmiges Gefühl im Magen. Es tat mir so leid, dass er sich wegen mir schlecht fühlte und ich ihm nichtmal gesagt hatte was los war.
Als ich langsam näher kam sahen nur Alice, Esme, Carlisle und meine Mutter auf, alle anderen rührten sich nicht, sahen weiter fern oder spielten ihre Partie.
„Ähm.. Mum“, fing ich zaghaft an.
„Ja mein Schatz?“
„Ich ähm gehe heute Abend aus“
Jetzt wandte sich auch Rosalie um und in Alice Augen vernahm ich ein flackerndes Leuchten.
„Aus?“, fragte meine Mutter.
„Ähm ja..“, es fiel mir schwer es auszusprechen. „Ich... hab.. ein.. Date.“
Jetzt spürte ich mit einem Mal alle Blicke auf mir. Besonders den von weiter hinten vom Kamin.
Der Blick meiner Mutter war für einen kurzen Augenblick unergründlich, dann lächelte sie wieder.
„Wieviel Zeit hast du noch?“ Alice stimme war nun eine Oktave höher, sie schien richtig aufgewühlt.
„Ähm.. zwei Stunden ungefähr“
„Okay das reicht gerade so.“ Blitzschnell hatte sie sich erhoben, mich bei der Hand genommen und war nun drauf und dran mich nach oben in ihr Beautyzimmer zu verfrachten, da wurde sie von der Stimme meines Vaters aufgehalten.
„Einen Moment bitte“
Wir hielten inne und sahen ihn an. Sein ernster Blick wandelte sich rasch zu einem Lächeln.
„Darf man auch fragen wer der Glückliche ist“
Ich war mir nicht sicher, aber ich konnte schwören von hinten ein kurzes Knurren vernommen zu haben, dann antwortete ich zügig.
„Sein Name ist David. Er ist aus meiner Klasse und Hannah hat ihn mir vorgestellt.“
Mein Vater nickte. „Alles klar. Du hast Ausgang bis zwölf, dann bist du wieder hier junge Dame“
„Verstanden“, bestätigte ich, dann konnte Alice sich nicht mehr im Zaum halten und zog mich die Treppe hinauf. Rasch warf ich noch einen kurzen Blick zum Kamin, doch der Hocker war jetzt leer...
- Ende Kapitel 02 -
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